Einzelne Stimmen bewusst erleben
Eine beliebte Anweisung im Instrumentalunterricht ist: „Singe die einzelnen Stimmen mit, um diese bewusster zu erleben!” Der Schüler spielt sich die einzelnen Stimmen vor oder dem Schüler werden die einzelnen Stimmen vorgespielt und er singt diese mit. Wenn dann der Schüler das Stück spielt, hört er die Stimmen besser.Ab und zu stelle ich mir die Frage, ob es sich dabei um eine Schummellösung handelt, weil es sein könnte, dass der Schüler trotzdem gar nicht die einzelnen Stimmen hört, sondern seine Erinnerung der Stimme aufruft.
Diese Frage mag verblüffen. Die interessante Frage ist, hört man eine z.B. eine Unterstimme in einem Stück wirklich, weil man sie solo gesungen oder vorgespielt bekommen hat?
Sie können mal ein Experiment mit sich machen. Nehmen Sie irgend ein Stück und singen ruhig nach Noten die Unterstimme. Diese können Sie vermutlich problemlos zu der Aufnahme mitsingen. Jetzt transponieren Sie das Stück und versuchen jetzt die Unterstimme mitzusingen. Am besten Sie setzen nicht direkt am Anfang ein, sondern irgendwann in der Mitte des Beispieles. Sie kommen vermutlich mehr oder weniger stark ins Schwimmen. Sie werden nicht in der Leichtigkeit rein finden, wie beim Original.
Wenn Sie aber die Unterstimme wirklich hören würden, dürften die Probleme bei der transponierten Version nicht so stark vorhanden sein.
Letztendlich überrascht das nicht so unbedingt, wenn man schon mal versucht hat, die einzelnen Töne eines Akkordes heraus zu singen. Der Spitzenton ist einfach, der Bass ist je nach Können schwierig, die Mittelstimmen sind problematisch.
Woran liegt das? Wenn man sich die Wellendarstellung eines Intervalles oder sogar Akkordes ansieht, dann überrascht es eigentlich vielmehr, warum man überhaupt dieses Chaos in Einzeltöne auflösen kann. Die Natur hat unser Ohr gut ausgestattet. Unser Ohr bildet eine Fourieranalyse nach. Also der Klang wird in seinen Grundton und beteiligten Obertöne zerlegt. Aber da kommen bei einem Intervall leider keine zwei Töne raus, sondern mehr, weil die ganzen Töne des Obertonspektrums werden mit entdeckt. Und an den einzelnen Tönen steht leider nicht dran, ob sie jetzt ein Grundton oder ein Oberton sind. Die Grundtöne zu bestimmen ist eine Aufgabe und Fähigkeit des Hirns, welche durch Training entwickelt wird.
Lange Rede kurzer Sinn, verzichten Sie mal bei einem Stück darauf, sich die Stimmen einzeln vorzuspielen oder nach den Noten zu singen, sondern versuchen Sie die Stimmen aus dem Klang heraus zu singen, ohne die betreffenden Töne besonders deutlich hervorzuheben.
Aber Sie müssen dabei aufpassen, dass Sie sich nicht selbst betrügen. Das Problem ist ja, Sie haben ja teilweise die Notennamen oder andere musiktheoretisch relevante Informationen durch die Beschäftigung mit dem Stück zur Verfügung, und Sie singen deswegen, was Sie wissen und nicht das was Sie hören.
Für technische versierte Menschen gibt es mehrer Methoden die Gefahr des Selbstbetruges zu mindern.
- Das Stück in ein Notensatzprogamm oder Sequenzer eingeben und versuchen die Stimmen herauszuhören.
- Wenn man Glück hat, gibt es das Stück als MIDI-Datei im Netz.
- Wenn eine Aufnahme von dem Stück vorliegt, können Sie einen Waveeditor damit füttern und dann die Stimmen heraushören.
Der Beitrag wurde am Freitag, den 11. Januar 2008 um 08:22 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Gehör, Lernen, Übemethodik abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .