Lernen aus Einsicht
Ich blättere momentan in „The Inner Game” von Berry Green herum. Dabei bin ich auf eine These gestoßen, die mich zu Widerspruch gereizt hat, weil sie ohne wenn und aber da stand.Berry Green ist der Ansicht, der Körper und die Emotionen würden schon das Richtige erkennen und dann ginge das Lernen schon von selbst. Man müsse den Schüler nur darauf stoßen. Insbesondere das Gute fühle sich gut an.
Erstaunlicher Weise schoss der Gedanke: “So ein Käse!” durch meinen Kopf.
Erstaunlicher Weise deswegen, weil ich gerne in meinem Unterricht mit funktionalen Aspekten argumentiere und damit meiner Meinung damit auch ganz gut fahre.
In vielen Dingen bin ich persönlich der Überzeugung, dass viele Dinge eine biologische Begründung haben und es deswegen eine zwangsläufige Tendenz zu bestimmten Lösungen gibt.
Trotzdem reizt mich diese These zum Widerspruch.
In dem Beispiel wurde die Haltung der Greifhand beim Kontrabass thematisiert. Diese Handhaltung erinnerte mich von der Beschreibung her stark an die Greifhand bei der klassischen Gitarre.
Erstaunlicher Weise, obwohl es viele gute Argumente für diese Haltung gibt, so fern man klassische Gitarrenmusik spielen will, stellt sich diese Haltung trotz Erklärung der Vorteile bei den Schülern nicht von selbst ein. Sondern man muss auf sie bestehen.
Was behindert also dieses „Lernen aus Einsicht”?
Aus meiner Sicht der Dinge behindern sechs Dinge dieses Lernen aus Einsicht.
- Komplexität
- Funktion Körper
- Erfahrungsschatz
- Vorprägung des Körpers
- Koordinative Schwelle
- Motivation
Komplexität
Das Problem Komplexität lässt sich an einer Geschichte schön illustrieren.
Ich lernte mal junge Autodidaktin kennen, die ziemlich clever war. Sie erklärte mir ihre linke Handhaltung damit, dass sie so am besten die Kraft auf das Griffbrett bekommen würde.
Ich probierte ihre Haltung aus und musste feststellen, dass sie recht hatte. Ich bekam so mehr Kraft auf das Griffbrett. Dummer Weise brauchte ich aber durch den veränderten Winkel aber auch mehr Kraft.
Weiter wurden die Grundgelenke so eng geschlossen, so dass die Beweglichkeit der Finger eingeschränkt wurde.
Weiter wäre mit dieser Haltung nicht möglich gewesen mit dem 4. Finger die tiefe E-Saite zu greifen.
Letztendlich spielen viele Faktoren zusammen, die alle unter einen Hut gebracht werden müssen. Und das ist gar nicht so einfach.
Damit wären wir beim nächsten hinderlichen Faktor.
Erfahrungsschatz
Z.B. in dem obengenannten Beispiel hätte der 4. Finger nicht auf der tiefen E-Saite greifen können. Aber das ist gerade nicht eine normale Aufgabe im Anfängerbereich. Also wurde dieses zukünftige Problem nicht erkannt und damit wurde auch keine Lösung dafür in Betracht gezogen.
Und es gibt viele Dinge im Anfängerbereich, die auch anders gelöst werden können. Aber mit diesen Methoden treten dann später Probleme auf.
Das Problem dabei ist, man kann das dem Schüler zwar erklären. Da diesem aber die praktische Erfahrung mit dem Problem fehlt, kann er dessen Bedeutung schwer einschätzen.
Diese Einschätzung wird durch einen anderen Faktor erschwert.
Die koordinative Schwelle
Ein Phänomen des Instrumentalspieles ist, man muss es sich erst schwer machen, um es dann einfacher zu haben.
Man muss sich Bewegungsmuster aneignen, die nicht den natürlichen Bewegungsmustern entsprechen. Zum Beispiel die Phasenverschiebung der Bewegungen der Finger der rechten Hand bei Zerlegungen muss man sich ziemlich erkämpfen. Die Phasenverschiebung des natürlichen Bewegungsmuster ist dem Tempo extrem hinderlich.
Ist der Schüler mit dieser Koordination aber konfrontiert, verlangsamt sich das Spiel. Was aber auf den ersten Blick eher wie ein Widerspruch erscheinen muss.
Persönlich muss ich sagen, je länger ich meinen Schülern zu sehe, desto mehr wundert es mich, warum manche Dinge überhaupt entwickelt worden sind. Der Weg bis eine Verbesserung eintritt, muss ein langer gewesen zu sein. Und dass diese langen Wege nicht zu abschreckend waren, verblüfft mich.
Und damit wäre ich bei den nächsten zwei Hindernissen
Funktion Körper und die Vorprägung des Körpers
Einige Haltungen und Bewegungen werden aus anatomischen Gründen eher als unangenehm empfunden. Also „richtig” fühlt sich nicht unbedingt „gut” an.
Dass sich der Körper im Laufe der Zeit verändert, wenn man ein Instrument spielt, dürfte klar sein. Aber auf Grund dieser Veränderungen sind erst viele Dinge möglich.
Wenn ich die Fingerkuppen meiner Greifhand mit den Fingerkuppen meiner Anfänger vergleiche, dann ist ganz offensichtlich, dass meine Fingerkuppen flacher und fester sind. Oder mein Daumen der Greifhand ist um seine Achse mehr nach außen gedreht als bei einem Anfänger. So fühlen sich aber für mich bestimmte Dinge als gut und natürlich an, die sich für eine untrainierte Hand eher als unangenehm erweisen.
Lange Rede kurzer Sinn, dass mit der Einsicht ist so eine Sache. Es stellt sich natürlich die Frage, wieso kommt dann jemand auf die Idee, dass dieses Lernen aus Einsicht so produktiv ist.
Motivation
Mir ist diese These auch schon an anderen Stellen begegnet. Teilweise auch mit schönen Erfolgsgeschichten garniert. Warum gibt es so viele Leute, die dieser These anhängen?
Es sind eigentlich alles Leute aus dem professionellen Bereich und dem Bereich der Berufsvorbereitung. Also hier bewegen sich Menschen mit entsprechenden Erfahrungsschatz, Vorprägung, Fähigkeiten und – vermutlich sehr wichtig – auch Motivation. In dieser Personengruppe hat dann Einsicht eine wesentlich stärkere Wirkung als in anderen Personengruppen, weil das Erreichen der erhofften Vorteile für diese Personenkreis wesentlich wichtiger ist als für den normalen Schüler.
Dies alles soll nicht heißen, dass dieses „Lernen aus Einsicht” nicht im normalen Instrumentalunterricht möglich wäre. Aber der Selbstläufer, wie von Berry Green geschrieben ist leider auch nicht.
Der Hauptgrund dürfte sein, funktional ist nicht unbedingt gleich angenehm und offensichtlich. Weiter dürfte dazu kommen, dass die Dinge aufeinander aufbauen. Und fehlt der eine Baustein, dann eröffnet sich nicht unbedingt der Vorteil eines anderen Bausteines.
Der Beitrag wurde am Freitag, den 23. Oktober 2009 um 08:10 Uhr veröffentlicht von und wurde unter den Kategorien: Gitarre lernen, Gitarrenunterricht, Lernen abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .