Soll ich es wagen?
Heute will ich in diesem Artikel nicht erzählen, was für eine Superpädagoge ich bin, sondern wie schwer es sein kann über sein Unterrichtshandeln zu entscheiden.
Seit einigen Jahren schon lasse ich ziemlich viel – so bilde ich mir auf Grund mit Gesprächen mit Kollegen ein – nach Gehör nachspielen und habe den Eindruck, dass dadurch meine Schüler die Musik bewusster wahrnehmen und mehr Freude daran haben. Schon lange grummelt die Idee in meinem Hinterkopf, dass ich im Anfängerunterricht eine Art Kehrtwende mache. Erst wird nach Gehör gespielt, dann aufgeschrieben und erst dann wird nach Noten gespielt.
Vor einigen Tagen lass ich und diese These ist mir schon häufiger begegnet, dass das Musiklernen in der westlichen Welt etwas Widernatürliches hätte. Man würde ja Lesen, Schreiben und Sprechen nicht gleichzeitig lernen. Es wäre sinnvoller den Weg bei der Sprache bei der Musik zu kopieren.
Wenn man sich die Sache auf das Erste durchdenkt, scheint sie sehr überzeugend. Bei weiterem Überlegen stellt sich natürlich die Frage, warum machen das nur so wenige Lehrer? Mir persönlich ist nur ein Lehrer durch Hören und Sagen bekannt, der so arbeiten soll.
Bei Vergleichen sollte man nachschauen, wo und wie sie hinken. Vergleicht man die Bedingungen beim Sprechen lernen und Musik bzw. ein Instrument zu lernen, dann fällt ein gravierender Unterschied auf. Wie viel Zeit steht dem Kind eine Quelle zur Verfügung, die vorspielt und auch entsprechenden Feedback gibt. Beim Sprechen und Lesen lernen, stehen Familie, Betreuung und Lehrer zur Verfügung. Das teilweise mehrere Stunden am Tag. Lernt man Musik, hat man einmal in der Woche den Lehrer zur Verfügung. Und das ist eindeutig weniger als bei der Sprache und damit vermutlich zu wenig.
Kein Wunder, dass man zu der Methode greift, das Kind bzw. den Schüler möglichst gut zum sich Selbstvorspieler bzw. um im Bild zu bleiben Selbstvorsprecher auszubilden. Vielleicht ist es gar nicht so dumm, was man da im Instrumentalunterricht macht. Kann der Schüler möglichst schnell und exakt die Zeichen am Instrument umsetzen, dann hört er ja die Musik richtig und braucht keinen anderen, der ihm vorspielt.
Aber es gibt ja auch noch die moderne Technik. Könnte die moderne Technik es möglich machen, dass der Schüler sich zu Hause die Dinge sich vorspielen lassen kann.
Bisher war der Audio-CD-Standard ein Hinderungsgrund, um das Audiomaterial so zu gestalten, dass es meiner Auffassung nach sinnvoll für die oben beschriebene Vorgehensweise ist. Nachdem aber jetzt auch MP3-fähige Geräte im Kinderzimmer stehen, stellt sich das Problem als bewältigbar dar.
Aber das Problem des Feedbacks ist noch nicht gelöst.
Trotz dieser Bedenken bin ich geneigt, mein Unterrichtssystem zu ändern. Was hält mich aber auch noch zurück?
Eine Mischung von Verantwortung und wirtschaftlichen Überlegungen. Was ist, wenn meine ganzen Überlegungen mich auf einen Holzweg geführt haben und es meine Schüler ausbaden müssen. Das ist einerseits schlecht für den Ruf, andererseits auch nicht gut für die Schüler.
Aber ich befürchte eigentlich nicht, dass ich auf dem Holzweg bin, sondern dass ich über Schüler ein Urteil fällen muss. Nimmt der Schüler den traditionellen Weg oder den neuen Weg. Wie wird auf Seiten des Schülers das Urteil aufgefasst, wenn ich der Auffassung bin, der traditionelle Weg ist für den Schüler der bessere Weg.
Mein angedachter neuer Weg hat ja ziemlich offenkundig etwas mit Musikalität zu tun. Schlage ich bei einem Schüler den traditionellen Weg ein, dann heißt es, dass ich der Ansicht bin, dass die musikalischen Fähigkeiten des Schülers nicht ausreichen. Der Schüler macht daraus, so befürchte ich, für sich, ich bin unmusikalisch, ich gebe auf.
Diese Schüler hatte ich bisher auch schon, aber sie mussten keinen anderen Weg gehen als die anderen Schüler. Daraus könnte eine Art Stigmatisierung entstehen.
Der Witz daran ist ja, dass ich durch solch eine Entscheidung zwar auf die individuellen Eigenschaften des Schülers eingehe, aber ihm gerade, weil ich ihm helfen will, es sehr schwer mache, diese Hilfe anzunehmen, weil seine Eigenschaften, die er vielleicht sehr ungerne anerkennt, ihm vor Augen geführt werden.
Letztlich habe ich das Problem, was hie und da bei medizinischen Behandlungsmethoden entsteht. Ich muss einer Gruppe schaden, um herauszufinden, ob die neue Methode besser ist.
Langer Rede kurzer Sinn, Änderungen im Unterricht, die auf den ersten Blick sehr sinnvoll erscheinen, können bei genauerer Betrachtung als vielleicht sinnvoll erscheinen. Da der Schüler aber kein Versuchskanichen ist, verbietet es sich, einen Versuch zu starten. Damit wird aber Innovation erschwert. Dies sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man Veränderungen im Unterricht verlangt.
Der Beitrag wurde am Freitag, den 6. Mai 2011 um 08:51 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Gitarrenunterricht abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .