Musik-Sprache – Der hinkende Vergleich – 3
Ein weiterer Unterschied zwischen Tönen und Buchstaben. Für mein Dafürhalten verändert sich Wirkung und vielleicht sogar Bedeutung der Buchstaben, bei Weitem nicht so massiv wie die Wirkung und Bedeutung eines Tones.
Der Ton F bekommt in C-Dur in einer Dreiklangsbrechung F-Dur eine andere Bedeutung und Wirkung als in einem Dominantseptakkord. Laute stehen für sich selbst. Töne gewinnen ihre Bedeutung durch den Kontext. Ein „a” bleibt bei Sprache ein „a”.
Aber auch die Unterscheidungsleistung ist bei Buchstaben eine andere als bei den Tönen. Der Laut als solches verändert sich bei einem anderen Buchstaben. Würde man eine ähnliche Qualitätsänderung bei den Tönen erzielen wollen, dann müsste man jeden Ton mit einem anderen Instrument oder zumindest Effekt des Instrumentes spielen.
Das bedeutet vermutlich aber, die konkrete Wiedererkennbarkeit des Kernes einer musikalischen Information ist wesentlich verschleierter als bei Sprache.
Und dann noch der Unterschied des Feedbacks bei Kindern, wenn es um Sprache oder Musik geht. Das Feedback bei Sprache ist deutlich häufiger, qualifizierter und didaktisch wertvoller.
In einem anderen Artikel habe ich berichtet, dass ich mein Audiomaterial in Schnipseln an die Schüler weitergebe, damit sie es zu Höraufgaben verwenden.
Mit diesen kleinen Größeneinheiten kommen viele zurecht. Aber nicht alle. Die sind darauf angewiesen, dass ich das Material in der Interaktion noch einmal anders präsentiere. Und diese notwendige Interaktion können Eltern, Geschwister und andere bei Musik nicht bieten, sondern nur musikalisch trainierte Menschen. Bei Sprache ist das anders. Da kann eigentlich jeder bei Problemen unterstützen.
Weiter wird in diesem Artikel argumentiert, dass Notenlesen eine zusätzliche kognitive Last ist und damit die Aufmerksamkeit auf andere Aspekte minimiert.
Dies klang in meinen Ohren zuerst plausibel, doch bei genauerer Betrachtung, würde ich sagen, es kann so sein, aber Noten können auch das Gegenteil bewirken, nämliche eine kognitive Entlastung.
Wer nach Gehör spielt, muss sich ja irgendwie mehr merken, als jemand der nach Noten spielt. Also Noten sind unter diesem Blickwinkel auch eine kognitive Entlastung. Das deckt sich auch mit meinen Erfahrungen, wenn ich meine Schüler nach Gehör spielenlasse. Ihr Verhältnis ist zwiespältig dazu. Einerseits macht Musik, die man nach Gehör spielt, mehr Spaß, weil man sich intensiver zuhört, aber es wäre deutlich anstrengender. Nach Noten wäre einfacher und bequemer.
Ich habe ja mehr oder weniger beschlossen, dass meine Anfänger wesentlich mehr nach Gehör spielen sollen. Und sie bekommen das Audiomaterial in einer Art und Weise von mir aufbereitet, dass die wenigsten scheitern dürften. Aber diejenigen, die damit überfordert sind, kann ich durch Noten Erfolge vermitteln. Mir stellen sich also Noten bei meinem momentanen Stand meiner Überlegungen, als Rettungsanker für meinen auditiven Weg dar. Eigenartig, wenn es damit doch eigentlich einfacher gehen soll.
Der Beitrag wurde am Freitag, den 21. Oktober 2011 um 08:01 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Gehör, Gitarre lernen, Gitarrenunterricht, Lernen abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .