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Gitarrenunterricht in Frankfurt

Dipl.-Gitarrenlehrer Stephan Zitzmann

Der kognitive Overflow

Ich denke schon länger über ein Thema nach, komme aber zu keinem Ergebnis. Aber meine Gedanken gehen Seitenwege. Ich habe ja in den letzten Artikeln erwähnt, dass, was im Gedächtnis ankommt, wohl eher Zufall ist. Letztendlich stoße ich in meinen Überlegungen immer wieder darauf, dass eine Art kognitiver Overflow, der viele Gründe haben mag, verhindert oder erschwert, dass die richtigen Informationen im Langzeitgedächtnis ankommen.

Im Rahmen meiner Gehörbildungsartikel habe ich versucht, was ich bisher noch nie getan habe. Ich versuchte ein neues Stück erst singen zu lernen, indem ich es mir vorspielte. Normalerweise singe ich die Stücke vom Blatt oder spiele/ singe sie von Aufnahmen nach. Was mir keine großen Probleme bereitet.

Ich war ziemlich verblüfft darüber, wie sehr das selber Spielen mein Erinnerungsvermögen beeinträchtigten. Musste ich an einer Stelle meine Finger besonders scharf beobachten, hatte ich teilweise Blackouts bei der Klangerinnerung. Ich schaffte so auch nur ziemliche kurze Schnipsel.

Mir war zwar schon theoretisch klar, dass das Spielen und damit Steuern der Finger die Aufmerksamkeit vom Klang weglenkt. (Eine der häufigeren Antworten meiner Schüler auf die Frage: „Hörst Du, dass ….?“ ist: „Ich habe echt andere Probleme! Da kann ich doch nicht noch zuhören.“) Aber wie stark das Steuern dies tuen kann, wurde mir durch diesen Versuch klar.

Dann kam ich auf die Idee, ich könne beim Spielen den Bass mitsingen. Das hat auch ziemliches Störpotential für die Sicherheit des Spiels.

Aber mir fiel noch eine weitere Sache auf, obwohl ich real die Unterstimme sang, sang ich innerlich die Melodie mit oder das, was ich für ein Mitsingen der Melodie halte.

Wenn ich spiele, tut sich etwas in mir, was ich bisher für ein innerliches Mitsingen gehalten habe. Ähnlich wie beim Lesen. Irgendetwas wirkt so, als würde ich meinen Mundraum und Halsraum wie beim realen Lesen nutzen.

Jetzt bin ich mir gar nicht so sicher, ob das wirklich ein Mitsingen ist. Soll heißen, ob diese angedeuteten Bewegungen wirklich dem Singen der gehörten realer Tonhöhen entsprechen.

Also ich habe Zweifel bekommen, ob, wenn ich spiele, genügend von der Musik in meinem Kopf ankommt.

Ich habe momentan eine elfjährige Schülerin, die in der Coronazeit angefangen hat. Sie hat eines der höchsten Lerntempi hingelegt. Bei der weiterführenden Schule hat sie sich eine Schule mit sportlichem Schwerpunkt gesucht. Sie fällt dadurch auf, dass sie ihre Konzentration extrem hochfahren kann. Aber komischerweise kippt ihr lautes Zählen wie bei den meisten Schüler*Innen nie in ein singendes Zählen um. Wenn wir nach Gehör spielen, verwechselt sie ab und zu immer noch, ob ein Ton höher oder tiefer als der vorige ist.

Ich frage mich, ob sie ihren Aufmerksamkeitskanal beim Spielen so voll macht, sodass sie (zu) wenig von der Musik mitbekommt.

Weiter habe ich einen Schüler, derzeit über 30 Jahren Musik macht aber, wenn er an einem bestimmten Punkt im Stück anfangen soll, sich immer wieder zusammen suchen muss, wie denn die Stelle geht.

Diesen Schüler habe ich explizit aufgefordert, dass er, bevor er anfängt zu spielen, sich versucht die Stelle vorzustellen. Das fiel ihm anfänglich schwer. Daraus schließe ich, dass bei diesem Schüler, sich einfach keine ausreichende Erinnerung des Stückes gebildet hat.

Ein anderer Schüler aus dem Anfängerbereich klagt darüber, dass bestimmte Töne ein Problem für ihn schwierig sind. Auf die Frage, ob er wisse, wie sich denn seine Finger in der linken Hand anfühlen würden, wenn er diese Töne greift, konnte er nicht antworten. Darauf forderte ich ihn auf, die Töne zu greifen, die Finger wegzunehmen und sich dann zu erinnern, wie sich die Finger anfühlen. Dann sollte er, bevor er die Töne wieder greift, sich an das Gefühl zu erinnern. Er empfand dies als Hilfe.

Es stellt sich die Frage, wird der Aufmerksamkeitskanal zu stark von der Steuerung genutzt oder sind die Wahrnehmungsfähigkeiten für bestimmte Ding so aufmerksamkeitsintensiv, sodass der Aufmerksamkeitskanal nicht ausreicht.

Aber es scheint so zu sein, dass eine musikalische und motorische Vorstellungsfähigkeit nicht automatisch entstehen muss.

Meine These zu diesen Phänomenen lautet, für die meisten ist Üben ein Wiederholen, bis es funktioniert. Dass sich die anderen Dinge ergeben, davon gehen sie nicht einmal aus, weil woher sollten sie das auch wissen.

Denn auch wir Lehrer*Innen gehen einfach auch davon aus, dass sich diese Dinge einfach im Laufe der Zeit bilden.

Ich habe so manchen Unterricht erlebt, als Lernender und Beobachtender. Eigentlich ist Unterricht immer der Versuch, dass der*ie Schüler*In das tut, was man sich vorstellt. Wird es getan, hat man einen Unterrichtserfolg. Dass etwas funktioniert, wird als Beleg dafür genommen, dass der*ie Schüler*In etwas ausreichend begriffen hat.

Ich habe eine Schülerin, die zählt bei jedem Stück. Soll sie auch. So schön, so brav. Bloß es fällt auf, wenn sie nach Gehör spielt, dass sie weicher, fließender spielt. Also kam ich auf die Idee, dass sie eine Phrase sich mit Zählen vorspielt und dann versucht nachzuspielen. Sie spielte das Richtige. Aber ihr Kommentar war: „Ich merke aber nicht, dass ich das richtige spiele, weil bei dem Mir-Vorspielen bekomme ich zu wenig mit, wie es klingt.“

Deswegen glaube ich, dass man als Übende*r und Lehrende*r auch immer wieder absichern und überprüfen muss, ist der richtige Gedächtnisinhalt entstanden. Dazu sind auch Strategien nötig, die über das erfolgreiche Wiederholen des Gespielten hinausgehen.

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Der Beitrag wurde am Freitag, den 2. Juni 2023 um 08:19 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Gehör, Gitarre lernen, Lernen, Musikalität, Übemethodik abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .