Der Physiotherapeut und ich
Seit geraumer Zeit habe ich einen Physiotherapeuten als Schüler. Er ist ähnlich groß wie ich, aber er hat deutlich kleinere Hände. Es steht also eine 7/8-Gitarre im Raum. Diese Konstellation zeigt in meinen Augen einige interessante Erkenntnisse, von denen ich berichten will.
Die Begrenztheit der eigenen Kompetenz
Mich hat schon immer an der Unterrichtsarbeit gestört, dass in der Rollenerwartung mir eine Kompetenz zugeschrieben wird, die ich nicht habe, die keiner meiner Kollegen hat und auch keiner, der mich ausgebildet hat. Ich vermute sogar, es geht einigen Berufen so, dass sie nicht die Klarheit über ihr Handeln haben, die diese Berufe gerne hätten.
Der Schüler erwartete Dehnübungen von mir. Ich dachte mir, er müsse es eigentlich berufsbedingt besser wissen als ich. Ich stellte das mir bekannte Wissen zu dem Thema dar, er seines. Widersprach es sich, waren wir nicht in der Lage, diese Differenz zu lösen. Das bedeutet nicht, dass wir uns gestritten haben. Aber wir beide haben nicht die Möglichkeit, die Zeit und das Rüstzeug uns den totalen Überblick zu diesem Thema zu verschaffen. Wir nähren uns von dem, was wir uns durch das Bemühen um Klarheit angeeignet haben.
Kann man die Dehnfähigkeit der Hände erhöhen
Es mag vielleicht theoretisch gehen, aber ich behaupte, es geht praktisch nicht. Dieser Schüler ist ungewöhnlich stark motiviert und übt deutlich mehr als der Schnitt der Schüler. Aus seiner Arbeit weiß er, wie viel Aufwand es braucht, um eine Veränderung, wenn möglich, herbeizuführen. Ein nicht unbedeutendes Thema in der Physiotherapie scheint die mangelnde Mitarbeit, also das häusliche Üben, der Patienten zu sein. Dieser Schüler gesteht ein, dass er nicht besser ist als seine Patienten.
Der Begriff “funktional”
In unseren Gesprächen fiel von Seiten des Physiotherapeuten der Begriff “funktional”. Ich konnte zuerst mit diesem Begriff in diesem Zusammenhang nicht anfangen. Er bedeutet, ein Physiotherapeut muss wissen, wie der Bewegungsapparat genutzt wird, um daraus Übungen abzuleiten.
Mir hat einer meiner Lehrer diese technische Übung gegeben. Man sollte sie auch mit den anderen Fingerpärchen machen.
Ziel der Übung war, herauszufinden, wie man seine Körperteile am besten verwindet und verdreht, um eine möglichst große Spreizung zu erhalten. Dies hat zur Folge, dass die Endglieder der Finger in den ungewöhnlichsten Winkeln zum Griffbrett stehen. Also diese Übung bringt wenig bis gar nichts für die Dehnfähigkeit der Finger.
Verändert man die Aufgabe aber dagegen dahin, dass die Endglieder der Finger normal auf dem Griffbrett stehen, erhält man eine Übung zur Dehnbarkeit der Finger.
Oder diese Übung wurde mir auch als Übung präsentiert, es geht darum, dass Du Sie hinbekommst, egal wie. Den Daumen umzusetzen und Handbewegung waren erlaubt.
Man kann diese Übung aber genau anders machen, der Daumen und die Hand bleiben stabil. Dann werden die Finger anders beansprucht. Zum Beispiel die Dehnung zwischen dem dritten und zweiten Finger wird gefordert.
Unter diesem Blickwinkel verändert sich der Blick auf manche technische Übung und Anweisung. Man kann diese darauf untersuchen, was für Anforderung sie an den Bewegungsapparat stellen. Weiter, was für Bedingungen dafür verantwortlich sind oder was für Bedingungen man sich stellen soll.
Zum Beispiel wurde mir unter diesem Gesichtspunkt klar, dass das im Teuchertland gepredigte Finger liegen lassen oder das gemeinsame Greifen auch eine spezifische Dehnung bewirkt und den Körper verändert. Ich fand das zwar schon davor sinnvoll, aber jetzt erscheint es mir noch sinnvoller.
Der Beitrag wurde am Freitag, den 3. Mai 2024 um 20:07 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Gitarre lernen, Gitarrentechnik, Gitarrenunterricht, Übemethodik abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .