Wenn Gitarristen Laufräder bauen
In dem Artikel Speichenspannung – Saitenspannung habe ich mich schon einmal zu dem Thema ausgelassen, ob man Laufräder nach Gehör bauen kann oder nicht. Weil ich mir ein neues Hinterrad für mein Fahrrad bauen musste, habe ich mich wieder mit diesem Thema beschäftigt. Aber vorab hatte ich im Vorfeld eine weitere Erkenntnis.
Felgenwände und Nagelstärken
Da ich immer noch Felgenbremsen fahre, habe ich die Felgenwandstärke meiner Laufräder überprüft. Dies tat ich mit einem Tastzirkel. Weil dieser Tastzirkel eine Genauigkeit von 0,1 mm hat, habe ich meine Fingernägeldicke gemessen und kam auf 0,4 mm. Ein Schüler von mir hat Nägel, die ich als „waffenscheinpflichtig“ bezeichne. Bei ihm sind die Nägel 0,6 mm dick.
Macht das einen Unterschied. Ich vermute ja, weil meine aufklebbaren Kunstnägel auch 0,6 mm dick sind. Ich finde, das Spiel mit ihnen hat etwas schienenartiges.
Ich habe mich schon immer gefragt, wenn ich meine Nägel verstärke, ob ich mich um die Dicke des Auftrages kümmern soll. Ich wusste aber auch keinen rechten Richtwert. Aber vielleicht ist die Dicke von Kunstnägeln ein Orientierungspunkt.
So viel zu dem Tastzirkel. Ach ja, der Testzirkel meinte, Du musst neue Felgen einspeichen.
Überforderte Ohren und Stimmgeräte
Räder einszupeichen, ist zeitintensiv. Besonders, wenn man es alle paar Jahre machen muss oder will. Also erst ein paar Tutorials angeschaut. Dabei stieß ich auf das Video How to Use the Park Tool TM-1 Tension Meter & Wheel Tension App. Weil ich das entsprechende Tensiometer selber benutze, wollte ich mich an das Video halten. Persönlich finde ich aber, das Ablesen der Skala ist fehlerträchtig. Ich überlegte mir, wie ich an eine besser lesbare Skala käme.
Ich dachte wieder an den Saitenrechner.
Rechnet man die Parktoolwerte durch, dann stellt man fest, dass eine Skaleneinheit 10 Prozent Speichenspannung mehr ist.
In meinem letzten Artikel zu dem Thema schrieb ich, eine Zugänderung von 100 N ist eine Änderung von einem Halbton. Damit hätte ich in den Spannungsbereichen, auf die ich mit meinen Speichen bringe, eine genauere Skala als Parktool. Damit wäre das Leben leichter. Aber ich bediente vorsichtshalber noch einmal den Saitenrechner und stellte fest, dass ich die obige Behauptung widerrufen muss. Ich habe damals zu wenige Beispiele berechnet. Diesmal rechnete ich mehr Beispiele in unterschiedlichen Bereichen und stellte fest, dass pro Halbton höher, die Differenz der Zugkraft steigt. Also noch einmal einen Blick auf die Formel geworfen. Und umgeformt.
Das Ergebnis, ein Halbton ist eine Abweichung von 12,25 Prozent und ein Ganzton eine Abweichung von 26 Prozent. Diese Intervallskala wäre gröber als die Skala von Parktool.
Wie dem auch sei, es ließ mich nicht los. Bei meinem letzten Versuch habe ich mich gewundert, dass die Tonhöhe und die berechnete Zugkraft nicht stimmten. Also maß ich die Speichenlänge vom Felgenboden zum ersten Kreuzungspunkt. Da ich Doppeldickendspeichen habe, mittelte ich den Durchmesser. Siehe da, die Tonhöhe passte.
Bei meinen Recherchen stieß ich auf das Programm Spokomat. Welches auch die Tonhöhe abhängig von der Zugkraft berechnet. Es kommt auf ähnliche Ergebnisse. Dadurch habe ich festgestellt, dass mein Tensiometer falsch eingestellt ist.
Wie arbeitet man mit der Tonhöhe? Und darauf habe ich keine zufriedenstellende Antwort gefunden.
Sieht man sich die Arbeitsweise von Parktool an, errechnen man sich einen Durchschnittswert und rechnet damit aus, bei was für Speichen man eingreifen soll.
Was einem aber nicht möglich ist, sich von mehreren Tönen einen Durchschnittston zu bilden. Insbesondere, wenn die Tonabstände nicht den Abständen unserer Chromatik entsprechen, sondern beliebig irgendwo liegen.
Also probierte ich noch einmal mit einem Stimmgerät zu messen. Stimmapps, die ich damals nicht hatte, zeigten, eine Messreaktion. Aber es wurden verschiedenen Töne angezeigt. Also schloss ich meinen Zoomrecorder an das Handy. Die Werte wurden stabiler. Als ich die Felge festhielt, wurde es noch besser.
Das Messergebnis als solches war nicht chaotisch oder beliebig, sondern schien etwas mit der Obertonreihe zu tun. Bloß trotzdem zu konfus.
Die Speiche anzuzupfen, ist nicht so gut, wie mit einem dicken Stift anzuschlagen. Teilweise hatte ich Phasen, da gaben die Apps konstant denselben Ton aus. Um dann wieder wild rauf und runter zu springen. Mir ist nicht gelungen eine „Spieltechnik“ zu entwickeln, sodass der Grundton der Speiche verlässlich gemessen wird. Also die Marktlücke, die richtige Schlagtechnik zum Laufradbau kann ich nicht schließen.
Wenn man sich den Speichenton anhört, dann würde den ich eher als einen latenten Multiphonic bezeichnen. Ich höre da eigentlich verschiedene Töne, die unterschiedlich stark zutage treten.
Dabei gibt es interessante Probleme. Bei der vergleichenden Beurteilung der Speichentöne fällt mir schwer, weil ich Bünde habe, zu beurteilen, ob das Intervall zu klein oder zu groß ist. Aber ich merke auch, dass ich versuche, die unsauberen Intervalle, wenn ich die Töne ansinge, zu korrigieren. Die Frage ist, tue ich das, weil ich musikalisch gebildet bin oder merke ich es, weil ich musikalisch gebildet bin. Soll heißen, korrigiert der musikalische Laie auch? Merkt er es oder nicht?
Man kann ja den Ton singend abnehmen und messen. Da gibt aber auch Probleme. Einer meiner Schüler, der auch im Chor singt und eine dreißigjährige Musikerfahrung hat, nimmt schon den Ton so variantenreich von einer Gitarrensaite ab, sodass der Abnahmefehler 100 N Unterschied machen würde.
Ich selbst habe auch Probleme. Mal sang ich die Quinte wegen des diffusen Speichentons. Das hätte bedeutet, dass die Felge kollabieren wäre. Aber nach ein paar Speichen hörte sich alle gleich an. Ich musste meinen Ohren Ruhe gönnen.
Aber es gibt auch andere praktische Unannehmlichkeiten. Man muss meiner Meinung wegen der obengenannten Probleme mit einem Referenzton arbeiten. Dann heißt es Speiche anschlagen, Referenzton (ab)spielen. Bei einem Tensiometer liest man einfach ab. Die Hände sind freier und es gibt weniger Arbeitsschritte.
Das oben erwähnte Programm Spokomat berechnet richtige Speichenspannung für Felgen und Nabenkombination und deren Töne. Aber diese Töne entsprechen prinzipbedingt nicht exakt unseren Tönen, sondern liegen eher dazwischen. Wie man an solche verstimmten Töne als Referenz bekommt, dürfte für den Laien nicht trivial sein.
Langer Rede kurzer Sinn, mit einer Anzeige mit Zahlen, die man abliest, ist das Speichenspannen praktischer.
Ich habe doch noch eine App gefunden, mit der man die Frequenzen der Speiche messen kann. Den Plural Frequenzen habe ich bewusst gewählt.
Hier ein Screenshot von einer Messung:
Diese App erstellt quasi eine Art Intensitätsheatmap der durch Fourieranalyse im zeitlichen Verlauf festgestellten Frequenzen. Die grünen Spitzen sind die gemessenen Töne. Unten ist eine Skala mit Tonnamen. Wer die Obertonreihe im Kopf hat, erkennt sofort, dies ist keine Obertonreihe. Aber noch viel sonderbarer, der dritte Peak von Rechts, ist der Ton, den ich singend von der Speiche abgenommen habe. (Ja auch ich habe Sorge, dass ich total falsche Spannungswerte eingestellt habe.)
Neugierde halber habe ich mir auch angeschlagene Saiten mit dieser App angesehen. Da Saiten länger klingen, machte ich ein Screenvideo.
Hier erkennt man ganz klar eine Obertonreihe und der tiefste gemessene Frequenz, ist auch der Ton der Saite. Woher diese Unterschiede kommen, weiß ich nicht. Ebenso ist mir nicht klar, ob diese Unterschiede, die oben beschriebenen Messungs- und Wahrnehmungsprobleme erklären.
Ich muss auch bei meinem Vorderrad eine neue Felge montieren. So wie ich die App verstehe, könnte ich wesentlich genauer arbeiten, wie mit dem mir zur Verfügung stehenden Tensiometer. Aber ich stehe etwas unter Zeitdruck und da sollte ich den sicheren Weg gehen. Abgesehen davon, dieser Speichenton ist enervierend. Andererseits es würde mich sehr reizen, dies auszuprobieren.
Noch ein kleiner Funfact. Mit aufgepumpten Reifen ist der Speichenton lauter und etwas leichter abzunehmen. Aber dann kann man den Höhenschlag nicht messen.
Eine Art Nachtrag: Weil die Zentrierlehre meines Zentrierständer meinen Zentrierständer unsauber zentriert, bin ich ziemlich in Schwierigkeiten gekommen. Irgendwann, war die ganze, doch ausgiebige Arbeit verbockt. Also beschloss ich, als Erstes die Spannung der Speichen auf jeder Seite des Laufrades auf einen berechneten Zielwert zu bringen. Sehr praktisch war, dass diese Werte jeweils genau in der Mitte von zwei Skalenstrichen meines Tensiometers waren.
Also ich maß eine Speiche und drehte sie, wenn sie außerhalb des Zielbereiches war, mit einer Viertelumdrehung in Richtung des Zielbereiches. Hatte ich alle Speichen durch, drückte ich die Speichen ab und ging in die nächste Runde. Irgendwann hatte ich alle Speichen im Zielbereich. Mit ist der Mund vor Staunen heruntergefallen. Die Felge, obwohl ein Hinterrad, war mittig. Der Seitenschlag betrug +-0,3 mm. Bloß ein kleiner Höhenschlag war in dem Laufrad. Ich vermute durch den Felgenverstoß verursacht.
Das ganze hätte ich auch mit dem Ohr machen können. Aber ich hätte die Speiche anschlagen müssen, wegen der oben geschilderten Irritierbarkeit des Ohres mir zwei Vergleichstöne anhören müssen. Es wäre ein deutlich höherer Aufwand gewesen.
Der Laufradbau mit Nutzung der Tonhöhe ist theoretisch möglich und auch sehr exakt. Aber praktisch eine Zumutung. Aber man kann mit der Tonhöhe feststellen, ob das unkalibrierte Billigtensiometer die richtigen Werte misst.
Der Beitrag wurde am Freitag, den 21. Juni 2024 um 08:09 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Eingeschoben, Fingernaegel, Gehör, praktisch abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .