Die Zeit der anderen
Manchmal frage ich mich bei bestimmten Anfragen, ob es wirklich sinnvoll ist, diese Menschen als Schüler anzunehmen. Es scheint, als müsse der Termin ganz genau auf die Minute passen, und nichts anderes wäre möglich.
Warum denke ich so? Immer wieder gibt es Situationen, in denen ein Schüler einen anderen Termin benötigt oder ein neuer Termin gefunden werden muss. Wenn dann mehrere Personen einen sehr engen Zeitplan haben, die weder 15 Minuten früher noch später können, wächst in mir die Befürchtung, dass ich irgendwann sagen muss: „Es tut mir leid, es findet sich kein passender Termin, Du musst den Unterricht bei mir leider beenden.“
In letzter Zeit sind mir jedoch auch Fälle von Zeitproblemen begegnet, die mich dann doch sehr verblüfft haben.
Kürzlich erhielt ich eine Anfrage, ob man bei mir in Praunheim Unterricht nehmen könnte, da die Brotfabrik als Unterrichtsort nicht infrage käme. Solche Anfragen bekomme ich öfter – meist von Menschen, die quasi um die Ecke wohnen. In diesem Fall nahm ich das zunächst auch an.
Erstaunlicherweise kam die Anfrage jedoch von jemandem aus Bad Homburg. Je nach Perspektive mag das mehr oder weniger ein weiter Weg sein. Doch aus meiner Erfahrung ist es eine Entfernung, bei der ich mich frage: „Wie lange nimmt diese Person diese Fahrerei in Kauf?“
Im Laufe der noch zu erzählenden Geschichte habe ich die Fahrzeiten zu beiden Unterrichtsorte verglichen. Laut Google Maps gibt es einen Unterschied von nur zwei Minuten – insgesamt also vier Minuten Mehraufwand – selbst im Berufsverkehr.
Ursprünglich hatten wir uns auf Freitag um 18 Uhr für 45 Minuten Unterricht geeinigt. Erst dann begann, das Prozedere mit Probestunde und Kennenlernen. Denn es wurde schon vorab klar, das mit dem Termin wird schwierig.
Als das ganze Prozedere mit Probestunde und Besprechung durch war, war plötzlich eine Woche später 18 Uhr aufgrund von möglichen Staus nicht mehr möglich. Vorgeschlagen wurde ein 30-minütiger Unterricht eine Stunde später. Jedem*r Instrumentallehrer*In freut sich mittlerweile “tierisch”, wenn sie den Stundenplan umbauen muss. Im konkreten Fall hätte es bedeutet, dass ich eine Stunde gewartet hätte.
Mich wunderte aber, warum man erst einem Termin zustimmt, dann aber einen Vorschlag macht, von dem klar sein müsste, dass er bei der anderen Seite, die Dinge gewaltig zum Tanzen bringen wird. Ich befragte also GoogleMaps. Ergebnis, es ging insgesamt um 15 Minuten mehr. Ich sagte Nein. Der nächste Vorschlag war 18:15. Ich war etwas irritiert, warum 18:15 möglich ist, aber die zuerst abgemachten 18:00 nicht mehr?
Ich war irgendwie ziemlich perplex über die Tatsache, warum versucht wird, einen vereinbarten Zeitpunkt abzuändern und diesen dann als nicht machbar zu betrachten. Was war plötzlich das Problem? Ich empfahl demjenigen, sich einen Lehrer zu suchen, der besser zu seinem Terminplan passt.
Darauf war es plötzlich möglich, wie schon vorgeschlagen, in die Brotfabrik zu kommen. Deswegen schaute ich, wie oben geschrieben in Googlemaps nach und wunderte mich. Nachdem man die Brotfabrik vorher als nicht zumutbar beschrieben hat, fand ich diese zwei Minuten Mehraufwand sehr überraschend. Ich hätte wegen des Widerstandes mit wesentlich mehr gerechnet. Da sagte ich mir, nein, egal, was dahinter steckt, den will ich nicht.
Was mich störte, war, dass wir uns zunächst geeinigt hatten, dann aber die Einigung als nicht möglich galt. Dann jedoch neue Vorschläge kamen, die offensichtlich für mich mit einem deutlich größerem Aufwand als der Gewinn des Betreffenden verbunden wären, ohne dass ich dafür eine Entschädigung bekommen würde.
Natürlich könnte man sagen, dass ich solche Situationen ausgleichen kann. Es kommt vor, dass sich jemand verrechnet. Aber solche Menschen entschuldigen sich dann normalerweise für die Umstände, die sie verursachen, und zeigen zumindest eine gewisse Anerkennung dafür, dass sie mir zusätzliche Arbeit aufbürden. Nichts davon. Keine Erklärung oder Entschuldigung.
Man wollte mir auch noch eine Aufnahme schicken, um diese zu kommentieren. Man fragte nicht, ob man das könne, sondern teilte es nur mit. Mailboxnachricht um ca. 20:00 Uhr man würde mich später noch einmal anrufen.
Es war auch die Woche des Amtsantritts von Trump. Ich las des Öfteren, Trump würde die Leute mit Maximalforderungen weich klopfen und dann schrittweise seine Forderungen zurückschrauben. Es ergaben sich für mich einige interessante Überlegungen zu Verhandlungen.
Vielleicht bin ich auch etwas hellhörig geworden, weil vor kurzem hatte ich einen Schülervater, der mich bat, ob ich eine Stunde vor dem Unterricht seiner Tochter da sein könnte, damit ich die Gitarrensachen in Empfang nehmen könnte, weil das wäre alles organisatorisch so schwierig. Der Vater wusste, dass seine Tochter die erste SchülerIn ist. Fairerweise muss man sagen, es sollte nicht wöchentlich sein, sondern zu monatlich stattfindenden Konferenzen des Vaters. Ich verneinte natürlich. Da kam die Frage, ob ich jemanden in der Nähe kennen würde, um dort die Sachen dort abzugeben. Ich wunderte mich, warum wildfremde Menschen sich um die Organisationsprobleme einer Familie kümmern sollten.
Bei mir läuft es so, dass die Leute vor der Tür warten und ich sie dann hereinhole. Anklopfen ist zwecklos, da ich es aus baulichen Gründen nicht höre. Dies empörte den Vater sehr. Sein Kommentar: „Da muss man so pünktlich sein!“
Dann gibt es da noch eine Schülermutter, die regelmäßig über den Stress klagt, unter dem sie steht. Deshalb könne sie nur einen Unterrichtsort wahrnehmen – und zwar den, an dem ich nur freitagnachmittags verfügbar bin, aber der in direkter Nachbarschaft ist. Der Unterricht müsse möglichst mit ihrem Arbeitsende zusammenpassen, was ich ihr auch ermöglicht habe. Doch nun kam das Problem, der Junge könne nicht an den gerne am Freitag stattfindenden Geburtstagsfeiern teilnehmen. Ob es nicht dann möglich wäre, den Unterricht an einem anderen Tag oder an einem anderen Ort nachzuholen. Sie würde dann auch das Fahren auf sich nehmen.
Der Kleine erzählte mir, dass seine Eltern ein Haus in Frankfurt kaufen. Wer sich so etwas leisten will, muss eben schuften. Da fragte ich mich: „Kann es sein, dass der Stress sich ein Haus zu kaufen auf mich abgewälzt wird? Dass man mich mit der Lösung der daraus entstehenden Probleme belastet?“ Anders gesagt, man kann sich sein Leben nur auf Kosten anderer leisten?
Ich bin mir sicher, dass dies nicht explizit und bewusst so gedacht wird, sondern eher das unbemerkte Ergebnis einer Situation ist. Doch es fällt schon auf, dass all diese Geschichten von Menschen kommen, die in einer privilegierten Position sind, und dass die zeitlichen Probleme, die aus dem Erwerb und Erhalt dieser privilegierten Stellung resultieren, von mir gelöst werden sollen.
Eigentlich würde ich sagen: „Liebe Leute, wenn ihr mich mit solchen Anfragen konfrontiert, dann stimmt etwas in eurem Leben nicht.“
Wie komme ich darauf? Der Anfragende in der ersten Geschichte schrieb in der Anrede immer „Hr.“ statt „Herr“. Wenn man glaubt, sich die Zeit eines Zeichen sparen zu müssen, anstatt die Anrede korrekt zu schreiben, um damit den üblichen Höflichkeitskonventionen zu entsprechen, dann könnte das ein Sinnbild dafür sein, wie man die Belange anderer gegenüber seinen eigenen betrachtet.
Man könnte sagen, das seien Einzelfälle oder einfach schwierige Menschen. Vielleicht.
Der Auslöser für diesen Artikel war eine Beobachtung in einem Radforum: Dort wurde diskutiert, dass Fußgänger sich aus Rücksicht auf Radfahrer entsprechend kleiden sollten, damit diese im Dunkeln besser sichtbar sind und die Radfahrer schneller vorankommen können. Vor ein paar Jahren hätte jemand kompletten Gegenwind bekommen. Jetzt anscheinend nicht mehr. Jemand schrieb in dieser Diskussion meiner Meinung nach treffend:
Mich verwundern all diese Starken, die so überfordert sind und die Rücksicht der Schwächeren brauchen.
Ich möchte das nicht in einen Konflikt Schwach gegen Stark auflösen, sondern man sollte seinen Wunsch Gitarrenunterricht haben zu wollen, wenn man so viel Hilfe und Entgegenkommen von anderen braucht, auch oder gerade, wenn diese für einen arbeiten sollen, hinterfragen.
Oder sich einfach überlegen, wie es auf den Lehrer wirkt, wenn fünf Minuten so schlimm sind. Interessiert oder desinteressiert.
Der Beitrag wurde am Freitag, den 31. Januar 2025 um 08:13 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Allgemein, Eingeschoben abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .